Man gönnt sich ja sonst nüscht, sagten wir uns und fuhren zum Pferderennen. Man gönnt sich ja sonst nüscht, sagten wir uns am Eingang und kauften Logenplätze, schön weit oben, wo man mit dem Fernglas die ganze Strecke überschauen kann. Wo die großen Hüte ausgetragen werden und die Sektkühler rumstehen. Den kleinen Mädchen ist das ziemlich schnuppe, die wollen noch vor dem ersten Rennen wieder runter von der Tribüne. Ganz nach unten und vorn auf die Wiese zu den billigen Stehplätzen. Dann verfolgen wir das Rennen doch noch von oben. Das kleinste Mädchen versteht die ganze Aufregung nicht, ich sage: „da rasen die Pferde!“, doch das Kind schaut in den Himmel. „Dort hinten!“, schreie ich, und das Kind blickt fragend zur Nachbarloge. „Da-DORT-HIER!!!, brülle ich, als die Rennmaschinen schon auf der Zielgeraden einbiegen. Das Kind schaut zum Papa, zu mir, mustert seine großen Geschwister, folgt schließlich unseren Blicken und entdeckt die Pferdchen, als sie just über die Ziellinie fliegen. Sie jubelt dann einfach noch fünf Minuten länger als das restliche Publikum.
Beim zweiten Rennen hat sie das Spiel jedoch begriffen. Ansonsten besteht solch ein Tag auf der Rennbahn aus jeder Menge Hin-und Hergerenne. Nach dem Rennen schnell ein Blick ins Programm werfen. Wer sind die Favoriten für den nächsten Lauf? Auf wen setzen die Experten? Auf True Lady, Ovomaltine oder Born to Run? Oder doch auf Geheimtipp Sternchen? Vor dem nächsten Wetteinsatz wollen wir nichts dem Zufall überlassen und uns die Pferde genauer betrachten. Also runter von der Tribüne und rüber zu den Ställen, wo die Pferdchen vorgeführt werden. Das Dragonermädchen möchte auf ein Pferd setzen, das lange Beine und ein Muster auf dem Po hat. Der große Sohn setzt auf den Favoriten und ich auf eine Debütantenstute. Schnell noch zum Wettschalter, Scheine ausfüllen, Euro berappen und schon klingelt es. Das ist das Zeichen für die Jockeys, sich zu den Startboxen auf den Weg zu machen. Während wir zu den Tribünen zurückflitzen, versuche ich dem Dragonermädchen seinen neuesten Berufswunsch auszureden. Jockeys müssen hungern, und so richtig wachsen dürfen die auch nicht. Um die 56 Kilo wiegen die meisten… Sie lässt meine Einwände nicht gelten, na gut. Kaum auf den Plätzen angekommen können wir auf dem Bildschirm gerade noch verfolgen, wie die Pferde in die Startboxen getrieben werden. kleinere Tumulte bleiben dabei nicht aus, ein Pferd beschließt, dass das mit dem Rennen doch keine so gute Idee ist und geht wieder rückwärts. Ich kann das verstehen, wer sprintet schon gerne 2.000 Meter mit Rucksack. Man zerrt noch eine Weile am Pferd, doch das bleibt stur, es will heute partout nicht. Recht so.
Schließlich fällt der Startschuss. Die Pferde schießen aus der Box – bis auf eines. Offensichtlich weiß meine kleine Debütantin noch nicht so recht, wie das hier lang läuft. Oder sie will sich die Sache erstmal von hinten betrachten. Sie legt dann ein fantastisches Rennen hin, vom letzten 12. Platz schiebt sie sich noch auf den sechsten. Doch was nutzt es, das sind noch drei Plätze vom Wetteinsatz ‚Platz‘ entfernt. Auch das Dragonermädchen geht leer aus. Dafür gewinnt die Favoritin, auf die der Sohn gesetzt hat.
Später wird der Jockey im Interview sagen, dass die Stute heute „schwierig“ gewesen sei. „Inwiefern“, fragt der Moderator nach. Ob sie aufgeregt oder ängstlich gewesen sei. „Nein“, sagt der Jockey, „sie war schwierig. Wie Stuten eben manchmal so sind.“ Stuten, aha. Das hören wir auch nur mit halbem Ohr, weil die nächsten Pferde schon wieder vorgestellt werden. Weil jemand Hunger oder Durst hat oder pullern muss. Weil dort eine Hüpfburg steht. Und an den Wettschaltern stehen Schlangen.
Beim dritten Lauf regnet es. Nach dem vierten sparen wir uns die Vorstellung der Pferde und wetten gleich oben an den Logen. Beim fünften kaufen wir ein Eis. Ein wenig bewundere ich die Damen mit den großen Hüten und hohen Pumps. Große Scheine wandern über die Wettschalter. Ich schrubbe an der getrockneten Schnodder-Eis-Kruste im Gesicht der Zweijährigen und wünsche, ich hätte Wechselklamotten eingepackt.
Wir beschließen, dass das sechste Rennen unser letztes sein wird. Etwas verzweifelt setzte ich noch einmal drei Euro, diesmal auf den Favoriten. Und tatsächlich, der Kerl rennt einen Start-Ziel-Sieg. Wenn man von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, sollte man das einfach machen, auf den Favoriten setzen. Ist zwar langweilig. macht aber weniger arm.
Auf der Heimfahrt fallen beide Mädchen in Tiefschlaf. Zu Hause will die Dragonerin dann doch nicht mehr Jockey werden. Sondern Tierarzt. „Die kriegen bestimmt auch mehr Geld!“ Wenn sie nicht alles verwetten, könnte das durchaus der Fall sein.